Die griechische Unterwelt - Dr. Christian Pinter - Populäre Vorträge

Direkt zum Seiteninhalt
Die griechische Unterwelt

2023 ist Eleusis - Elefsina - eine europäische Kulturhauptstadt. In der Antike lag hier das Zentrum eines Mysterienkults, der Glückseligkeit im Jenseits versprach.

Die alten Griechen blickten nämlich einem traurigen Schicksal nach dem Tod entgegen. Das liebliche, sonnenverwöhnte Elysion stand bloß den Götterlieblingen offen. Mit Höllenqualen mussten andererseits nur die schlimmsten Frevler rechnen, die sich im finsteren Tartaros wiederfanden.
Sofern sie nicht an die Wiedergeburt glaubten oder einem Mysterienkult anhingen, erwartete die allermeisten Verstorbenen somit ein trostloses Dasein im Hades: ein feuchter, öder Ort, stets in bleichen Winter gehüllt.

Viele Motive der damaligen Vorstellungen hinterließen letztlich Spuren in unserer Sprache. Dazu zählen etwa die Begriffe „Orgie“, „Pompfüneberer“, „Mysterium“, „Tragödie“, „Sisyphusarbeit“, „Élysée-Palast“ oder die Vornamen Dimitrij, Demi, Dennis, Coco und Corinna.
Ausführliche Zusammenfassung

Ans Dasein nach dem Tod dachten die Griechen höchst ungern. Das Jetzt war ihnen wichtig. Denn kaum jemand durfte hoffen, dereinst ins paradiesisch anmutende Elysion einzugehen. Die Verstorbenen vertreiben sich die Zeit dort mit Würfelspiel, Wettkämpfen, Tänzen, Gedichten und Lautenklängen. Der Dichter Hesiod spricht um 700 v. Chr. von den „Inseln der Seligen“. Das Wonnegefilde steht aber bloß den Protegés der Götter, ihren Kindern oder handverlesenen Helden offen.

Den Gegensatz dazu bildet der Tartaros. Hier werden jene bestraft, die sich gegen die Götter stellten oder sich für mächtiger hielten. Das ist die Strafstätte der aller schlimmsten Frevler, der Mörder und der Tempelräuber. Hier büßen u.a. König Tantalos („Tantalusqualen“), König Sisyphos („Sisyphusarbeit“) oder die Danaiden, die gleichsam ein „Fass ohne Boden“ füllen müssen.

Den allermeisten Griechen winkt nach dem Tod der Hades, ein düsterer und scheußlicher Ort, stets in bleichen Winter gehüllt. Hier gibt es nur eines: immerwährende Tristesse. Die Schatten der Verstorbenen ziehen blutlos sowie ohne Fleisch und Bein umher und fristen ein empfindungsloses Dasein.
Der Hades ist kein Ort qualvoller Strafen – eher eine postmortale Einöde. Regiert wird er vom gleichnamigen Gott Hades und dessen Gemahlin Persephone. Das Foto oben zeigt das Herrscherpaar an der Fassade des Naturhistorischen Museums in Wien.

Wie sollen die Griechen dieser unerfreulichen Zukunft entkommen? Einen Ausweg bieten die Mysterien.
Eine berühmte Mysterienstätte lag in Eleusis (neugriechisch: Elefsína; 2023 eine europäische Kulturhauptstadt). Der dortige Kult drehte sich um den Gott Hades und die von ihm geraubte Persephone, Tochter der fürs Getreide zuständigen Göttin Demeter.
Persephone darf aber letztlich für zwei Drittel eines jeden Jahres zu ihrer Mutter zurückkehren, worauf hin Demeter üppige Saaten sprießen lässt.
Die Pilger stellen auf dem gut 20 km langen Weg von Athen nach Eleusis Motive aus diesem Mythos nach. Eine zentrale Rolle in diesem Kult spielt wohl die Getreideähre: Obwohl sie letztlich abgeschnitten wird, steckt in ihrem Saatgut doch neues Leben.

Foto links: Der Raub der Persephone (röm.: Proserpina) am Hauptplatz der polnischen Stadt Posen.

Ein  weiterer Mysterienkult dreht sich damals um den berauschenden Gott Dionysos (lat.: Bacchus).

Er wurde einst von den Titanen getötet. Doch Zeus hauchte ihm neues Leben ein, so dass Dionysos den Tod besiegte. Das  fasziniert die alten Griechen.
Frauen und Männer begleiten diesen Gott ganz enthemmt. Die zügellosen Frauen werden Bakchantinnen oder Mänaden genannt (vgl.: „Manie“).
Sie sind von Dionysos richtig gehend besessen,  sehen sich als dessen Geliebte. Die Männer wähnen sich ihm ähnlich.


Foto links: Dionysos in der Stoa des Attalos, Athen



Das Glücksgefühl im Hier und Jetzt soll Vorgeschmack sein auf die Glückseligkeit im Jenseits. Um die Ausschweifungen in geordnetere Bahnen zu lenken, bindet man den Kult z.B. in den Athener Festkalender ein: Die Chorwettbewerbe dieser Dionysien werden schließlich im Dionysos-Heiligtum am Fuße der Akropolis abgehalten (Foto unten). Sie stehen Pate bei der Geburt der Tragödie. Der ausgelassene Festumzug wird zur Komödie.
Große Faszination übt auch der legendäre griechische Sänger Orpheus aus, zumal dieser ja einst auf der Suche nach Euridyke lebend aus der Unterwelt zurückgekehrt ist.
Die Griechen erklären ihn zum Autor diverser Lehren und Texte, die zur Glückseligkeit verhelfen sollen – darunter 87 kurze Gedichte.

Diese „orphischen Hymnen“ huldigen unter anderem auch Dionysos, Persephone oder Demeter.

Die verschiedenen Mysterienkulte stehen einander nämlich nicht in Feindschaft gegenüber, sie ergänzen sich vielmehr.

Foto links: In der Hellbrunner Orpheus-Gruppe spielt der Sänger die Geige statt die Lyra
Etliche Philosophen wie Pythagoras von Samos glauben an die Wiedergeburt. Der Körper wird zum Gefäß oder Gefängnis, die unsterbliche Seele wandert nach dessen Tod zum nächsten weiter. Sie büßt für frühere Vergehen und möchte schlussendlich in ihren rein geistigen Urzustand zurück kehren und bei den Göttern wohnen. Zwischen den Reinkarnationen wird die Seele mit Feuer gereinigt. Totenrichter bestimmen über ihr weiteres Schicksal.
Wir kennen die antiken Jenseitsvorstellungen primär aus literarischen Quellen, also aus den Werken von Hesiod, Homer, Vergil oder Ovid.

Sie halten eher die Vorstellungen der gebildeten Oberschicht fest.

Sicher gab es bei den Menschen unterschiedliche Ideen, was das Dasein nach dem Tod betrifft.


Foto links: Die drei Moiren, hier am Heldenberg. Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis misst ihn. Atropos schneidet ihn ab
Wahrscheinlich hofften manche Menschen einfach auf eine Art ewigen Schlaf, auf eine ewige Ruhe. Auf unseren heutigen Grabsteinen stehen wohl nicht zufällig Worte wie „Ruhe sanft“ oder „Ruhe in Frieden“. Selbst die Vorstellung eines immerwährenden Schlafs ist noch tröstlicher als der Gedanke, wonach nach dem Tode das gleiche sein könnte wie vor der Geburt: nichts, rein gar nichts.

Text und Fotos © Dr. Christian Pinter
Artikel in der Wiener Zeitung

https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/geschichte/998254-Postmortale-Einoede.html

https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/geschichten/2096840-Privilegien-fuer-die-Unterwelt.html

https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/geschichten/2146275-Lebenslust-und-Ausschweifung.html
Literatur

Sachbücher

  • Walter Burkert
Antike Mysterien: Funktionen und Gehalt
  • Hans Kloft
Mysterienkulte der Antike: Götter, Menschen, Rituale
  • Bernhard Lang
Himmel und Hölle: Jenseitsglaube von der Antike bis heute
  • Paul Veyne
Die griechisch-römische Religion: Kult, Frömmigkeit und Moral
  • Dennis Graen
Tod und Sterben in der Antike: Grab und Bestattung bei Ägyptern, Griechen, Etruskern und Römern
  • Marion Giebel
Das Geheimnis der Mysterien. Antike Kulte in Griechenland, Rom und Ägypten
  • Helmut Obst
Reinkarnation – Weltgeschichte einer Idee
    
Historische Quellen

  • Hesiod: Theogonie
  • Homer: Odyssee
  • Homerische Hymnen
  • Vergil: Aeneis
  • Ovid: Metamorphosen
  • Apollodors Mythologische Bibliothek
Mehr als 3.000 Besucher!
Zurück zum Seiteninhalt